Wegbereiter: Von nackten Tatsachen und viel Leidenschaft

Wandern auf dem Nibelungensteig – das heißt Wandern in schöner Natur, vorbei an beeindruckenden Landschaften, rustikalen Burgen und urigen Altstadtgässchen. Wandern auf dem Nibelungensteig heißt aber auch Wandern auf gut markierten Wegen. Ganz gleich, ob du ein geübter Wanderer bist, oder als Einsteiger das Wandern neu für dich entdeckst. Ganz gleich, ob du dich mit Karte, GPS oder ohne Hilfsmittel orientierst. Der Nibelungensteig verspricht „unverlaufbar“ zu sein. Und damit das so bleibt, kümmern sich die ehrenamtlichen Mitglieder des Odenwaldklub e.V. (kurz „OWK“) um ein rund 5.500 km langes Wegenetz, zu dem auch der Nibelungensteig gehört. Wir haben zwei Nibelungensteig-Markierer bei ihrer Arbeit im Wald begleitet. Wir liefern ein paar Einblicke in dieses besondere Ehrenamt.

Detailaufnahme einer Hand, die ein rotes N auf den weißen Hintergrund der Wegmarkierung malt. Die Markierung befindet sich auf der Rinde eines Baums.

Fortsetzung von Teil 1 - Das Werkzeug zur inneren Ruhe >>

Frisch gestärkt begeben wir uns wieder auf den Nibelungensteig. Wir haben Zeit uns ein wenig besser kennen zu lernen und Jürgen erzählt mir, dass er Förster aus Leidenschaft ist. „In der 4. Generation!“, betont er nicht ganz ohne Stolz. „Und das, obwohl mein Vater zwar immer wollte, dass ich alles Mögliche lerne – ‚bloß in den Wald darfst du nicht!‘ – hat er immer gesagt. Ich – als Kind der 60er Jahre – habe aber erst recht genau das Gegenteil von dem gemacht, was mein Vater wollte. Also bin ich auch Förster geworden.“

Der Wegewart hält eine quadratische Schablone über eine alte Wegmarkierung an einem Baum.

Jürgen freut sich, beim Markieren etwas Gesellschaft zu haben, denn normalerweise ist er alleine unterwegs. „Das hält aber jeder Wegewart anders. Viele laufen alleine, manche nehmen sich einen Helfer mit. Leider wird die Arbeit oft unterschätzt und die Wegewarte hören kurz nach der Ausbildung wieder auf. Das ist sehr schade“, bedauert Friederike. Sie selbst ist in die Arbeit quasi hineingewachsen. Ihre Mutter war jahrelang als Wegewartin tätig und Friederike hat sie oft dabei begleitet. Vor lauter Gequatsche übersehen wir fast eine abgeblätterte Markierung – doch Friederikes Adleraugen entgehen zum Glück nichts!

„Wichtig ist der Blick vor und zurück“ – diesen Satz höre ich heute oft. „Denn wenn man einen Weg immer nur von der einen Richtung aus begeht, übersieht man schnell eine fehlende oder beschädigte Markierung. Auch die Perspektive ist wichtig. Ein Zeichen kann vollkommen intakt sein aber von der einen Richtung aus ist es vielleicht nicht zu sehen, weil ein Ast davor gewachsen ist. Der muss dann entfernt werden“, weiß Jürgen und zückt die kleine Klappsäge, die er mit dabei hat.

Der Wegewart bereitet mit einem Pinsel die Erneuerung der Wegmarkierung vor.

Ich lerne, dass es für das Markieren von Wanderwegen gewisse Regeln gibt. „Früher hat beinahe jeder Ort eigene Wanderwege ausgewiesen. Da gab es dann den grünen Zwerg oder den weißen Hirsch – je nach Nummer dann als 2-, 3- oder 4-Ender. Da hat natürlich irgendwann keiner mehr durchgeblickt. Der OWK hat dann 1889 ein einheitliches Wegebezeichnungssystem geschaffen“, erklärt mir Friederike. Auf unserem Weg kreuzen wir viele andere Wege wie das „Rote Kreuz“ oder die Qualitätsrundwege des OWKs.  Alle Wegewarte erhalten zu Beginn eine drei- bis sechsstündige Einweisung, ein Handbuch und ihre Werkzeuge. „Wir sind um jeden Helfer dankbar und würden gerne weiter ausbilden“, rühren beide kräftig die Werbetrommel.

Wir setzen unseren Weg durch den dichten Wald fort. Der Nibelungensteig führt uns auf weichem Waldboden, um eine lang gezogene Kurve, plötzlich auf eine helle Lichtung. Hier wachsen junge Nadelbäume, die uns gerade so noch einen Blick auf die gegenüberliegenden Hügel gewähren. Jürgens Körbchen mit Pinsel, Farbe und Werkzeug schwingt munter hin und her, während er mir erzählt, was ihm am Nibelungensteig so gefällt: „Der Nibelungensteig zeigt den Odenwald immer wieder mit einem neuen Gesicht. Kein Abschnitt gleicht dem anderen und man weiß nie, was einen hinter der nächsten Kurve erwartet.“ Er grinst. „Das können dann auch mal ein paar Wanderer sein, die außer Wanderschuhen und Rucksack nichts tragen“. Da muss ich nachfragen. „Ja, einmal sind mir beim Markieren drei Pärchen entgegen gekommen, die nackt gewandert sind. Ich hab sie natürlich gefragt, wieso. ‚Einfach so! Wir wandern gerne nackt‘, war dann die Antwort. Das war schon eine besondere Begegnung“, schmunzelt er.

Der Wegewart und die Wegewartin laufen einen Waldweg entlang. Man sieht sie in der Ferne.

„Überhaupt trifft man im Wald allerhand besondere Gestalten“, weiß auch Friederike. Bei ihrer jahrelangen Arbeit musste sie schon das ein oder andere Mal einer Rotte Wildschweine ausweichen. „Wir treffen aber auch viele Wanderer, die großes Interesse in unserer Arbeit zeigen“, pflichtet Jürgen bei. Friederike erinnert sich: „Einmal habe ich beim Markieren einen jungen Mann getroffen und wir sind ins Gespräch gekommen. Er meinte dann, dass das ja eine richtig tolle Arbeit sei und er seinen jetzigen Job satt hätte. ‚Ich würde auch viel lieber den ganzen Tag im Wald verbringen und Wege markieren‘, hat er gesagt. Daraufhin habe ich ihm erklärt, dass ich dafür kein Geld bekomme, es als mein Hobby betreibe und noch einen normalen Job habe. Da war er ganz verblüfft.“

Und ja, Wege markieren ist ein Ehrenamt. Es gibt eine kleine Aufwandsentschädigung aber es ist kein bezahlter Beruf. Dabei ist die Arbeit die Jürgen, Friederike und all die anderen Wegewarte der Wandervereine leisten eine so wichtige Aufgabe. Denn das Ausweisen von Wegen ist nicht zuletzt aktiver Naturschutz. Sensible Gebiete können „umlaufen“ werden und es bleiben genügend Freiräume für die Pflanzen- und Tierwelt.

Mit einem feinen Pinsel zeichnet der Wegewart das rote N auf den weißen Hintergrund.

Auf den letzten Metern unserer Wanderung lasse ich mich ein wenig zurückfallen und die vielen, neue Eindrücke Revue passieren. Neben den spannenden Geschichten von Jürgen und Friederike, werden mir besonders die ruhigen Momente in schöner Erinnerung bleiben. Durch diese entschleunigende Art des Wanderns habe ich ein ganz neues Gesicht des Nibelungensteigs kennen gelernt. Und wenn ich jetzt ein rotes „N“ auf weißem Grund sehe, dann sehe ich nicht nur ein Zeichen, sondern erkenne die Arbeit und Leidenschaft, die hinter diesem besonderen Ehrenamt steckt.

Text: Loreen Last, Juli 2017

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